Warum wir lieber "C-Office" anstatt Homeoffice sagen sollten (2024)

Aufgrund der Corona Krise befinden sich derzeit viele Arbeitnehmer*innen aller Hierarchieebenen im sogenannten Home Office und hierzu sind viele gute Tipps veröffentlicht worden, wie das in der aktuellen Krisensituation organisiert werden kann. Diese lange Liste wollen wir nicht ergänzen. Wir treten mit unseren zwei Grundsatzfragen eher einen Schritt zurück: Können wir in der aktuellen Situation überhaupt von Home Office sprechen? Und welche Gefahren entstehen gerade mit Blick auf New Work, wenn man den aktuellen Notbehelf mit dem Arbeitsformat Home Office gleichsetzt?

Denn Home Office bedeutet eigentlich: Office-Bedingungen – nur eben zu Hause.

Echte Home-Office-Bedingungen haben allerdings nur Menschen, die über einen voll eingerichteten Home-Office-Arbeitsplatz verfügen (u.a. räumliche Trennung, ergonomische Möbel, technische Infrastruktur) und keine betreuungsbedürftigen Kinder oder pflegebedürftigen Angehörigen haben. Und die mit einer Führungskraft zusammenarbeiten, die methodisch vertraut ist mit Remote Arbeiten, aus der Ferne führen kann und sich bewusst und kontrolliert darauf eingelassen hat.

Da gerade sehr vielen Menschen die oben genannten Grundbedingungen nicht zur Verfügung stehen, müssten sich dementsprechend auch die Erwartungen der Führungskräfte an überhaupt mögliche Leistungen und Ergebnisse auf ein realistisches Maß reduzieren. Darüber wird allerdings gerade in der Krise nicht oder kaum gesprochen, obgleich viele Führungskräfte und Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue feststellen, dass sie aufgrund der Umstände eben nicht adäquat produktiv sind sein können. Vielmehr greifen aktionistische Tendenzen um sich, in der Hoffnung, überhaupt etwas geschafft zu bekommen, und die ungeklärten Erwartungen führen zu Ärger, Missverständnissen und Konflikten.

Und nach der Krise geht’s auf nach New Work?

Interessanterweise gibt es viele New-Work-Vertreter, die ungeachtet dieser Tendenzen davon ausgehen, dass die „Zwangsdigitalisierung“ in Folge der Corona-Krise zu einem Schub für New Work führen wird.

In sachlicher und methodischer Hinsicht mag das zutreffen. Unternehmen werden verstärkt technisch umrüsten, um bei einer wiederholten Krise vorbereitet zu sein. Und ja, viele Menschen können jetzt mit Video Conferencing Tools umgehen und haben gelernt, dass es möglich ist, sich in einem digitalen Meeting zu koordinieren. Wenn wir aber über die wichtigsten Aspekte der digitalen Transformation und der New-Work-Bewegung sprechen, dann reden wir über Vertrauen, Kultur der Selbstorganisation und soziale Transformation. Dass sich diese Faktoren automatisch durch die in der Krise gemachten Erfahrungen auf positive Weise verändern werden, bezweifeln wir stark. Wie kommen wir zu dieser Überzeugung?

Aus hypnosystemischer Perspektive ist menschliches Erleben das Ergebnis von Aufmerksamkeitsfokussierung. Dies bedeutet, dass die von uns erlebte „Wirklichkeit“ das Ergebnis eines individuellen emotionalen Konstruktionsprozesses ist, der einerseits einer komplexen Verkopplung individueller Wahrnehmungsvorgänge und andererseits sozialen Aushandlungsprozessen unterliegt. Nur so erklärt sich, warum mehrere Personen ein und denselben Umstand völlig unterschiedlich wahrnehmen und bewerten können. Die traditionelle Sicht, dass allein unser rationaler Verstand unser Verhalten bestimmt, ist wissenschaftlich widerlegt. Die Musik spielt im Zwischenhirn, allem voran im limbischen System als umfassendem Erfahrungsgedächtnis, das durch permanenten (unbewussten) Abgleich unser menschliches Verhalten steuert.

Nach der sogenannten Hebbschen Lernregel feuern neuronale Zellen, die zeitgleich unabhängig voneinander aktiv sind, zu einem späteren Zeitpunkt automatisch gemeinsam, da sie sich in einem neuronalen Netzwerk verbunden haben. Ein simples Beispiel: Sie kochen eine Nudelsoße mit starkem Aroma. Im Radio läuft ein Song von Michael Jackson, und plötzlich verbrennen Sie sich heftig an der Herdplatte. Hören Sie ein Jahr später dasselbe Lied im Radio, werden Sie sich automatisch und unweigerlich an die Situation, den Geruch der Soße und die Verbrennung erinnern. Alle drei – an sich in keinerlei Verbindung miteinander stehenden – Elemente haben sich aufgrund ihrer Zeitgleichheit zu einem Netzwerk verbunden. Dieser Effekt wird verstärkt, wenn das Muster, wie in unserem Fall, mit dem Erleben von Schmerz oder auch der Ausschüttung von Dopamin assoziiert ist.

Übertragen wir unser Beispiel auf die aktuelle Situation, so haben sich zumindest bei denjenigen Mitarbeitenden und Führungskräften, denen keine Home-Office-Bedingungen zur Verfügung stehen, das Arbeitsformat und die (häusliche) Überforderung, individuelle Sorge wegen Corona, wirtschaftliche Sorgen etc. zu einem neuronalen Netzwerk verbunden. Auch für Führungskräfte, die bislang eher engmaschig und kontrollorientiert geführt haben, ist der erlittene Kontrollverlust neuronal mit dem Arbeitsformat „Home Office“ und der Krise verbunden. Da wir Menschen erfahrungsgesteuert sind, bietet uns unser Gehirn, wenn es eine ähnliche Situation wahrnimmt, innerhalb von Millisekunden eine bereits erfolgreich praktizierte Lösung an, die wir als Impuls wahrnehmen. Wenn es eine positiv erlebte Situation war, entsteht eine innere Hin-zu-Bewegung. War es eine negative Erfahrung, erfolgt eine unwillkürliche Weg-von-Bewegung.

Wird nach der Krise nun – was zu erwarten und zu hoffen ist – vermehrt der Ruf nach „Neuem Arbeiten“ im Hinblick auf zeitlich und örtlich flexibles Arbeiten, stärkere Selbstorganisation und dezentrale Verantwortungsübernahme lauter, so wird dies bei vielen das Assoziationsnetzwerk „Krise“ aktivieren. Die Folge: eine Weg-von-Bewegung auf unwillkürlicher Ebene, zumindest erlebt als eine Art Unwohlsein, Druck und Unsicherheit. Und das löst Stress aus.

Unser Lösungsansatz für die Zeit des „C-Office“

(Das steht für „Corona-Office, so nennen wir bei The Focused Company das aktuelle Arbeitsformat), damit nach der Krise der Weg für Neues Arbeiten offen ist:

1. Sprechen Sie in der aktuellen Situation nicht mehr von Home Office, sondern verdeutlichen Sie über eine andere Bezeichnung den relevanten Unterschied. Der Begriff „C-Office“ hört sich vielleicht komisch an, erfüllt aber seinen Zweck: er bezeichnet den relevanten Unterschied für alle, die in ihrem Notbehelf nun mal keine Home Office Bedingungen haben. Die Umbenennung sollte Im Team erfolgen und darf bitte auch humorvoll sein. Ihrer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

2. Führen Sie regelmäßige C-Office Check ins durch. Starten Sie virtuelle Kontakte mit einer kurzen Meta-Reflektion, wie es ihnen als Team gelingt, in der aktuellen Situation produktiv zu sein und was sie anpassen, verbessern sollten, um weiterhin konzentriert und produktiv zu arbeiten. Führen Sie auch regelmäßige bilaterale Check ins durch.

3. Sprechen Sie mit jedem Ihren Mitarbeitenden über deren faktische Leistungsfähigkeit im C-Office und treffen Sie dazu verbindliche Vereinbarungen, auf die sich beide verlassen können.

4. Führen Sie bereits während des „C-Office“ Fokuszeiten ein. Die Fokuszeit ist ein Kernelement der TFC-Methode und umfasst einen gemeinsam vereinbarten Zeitraum von zwei Stunden am Vormittag, in dem völlig ungestörtes Arbeiten möglich ist. Das steigert die individuelle Produktivität und ermöglicht ein Bewältigungs- und Selbstwirksamkeitserleben, was wiederum für Krisenbewältigung elementar ist. Es finden während der Fokuszeit weder Telefonate, Meetings noch E-Mail-/Slack-Kommunikation statt. TFC ist das erste systemisch integrierte Framework für konzentriertes Arbeiten in Unternehmen in einer von Multitasking und Fragmentierung geprägten Zeit. TFC steigert die Produktivität und Selbstorganisation der Wissensarbeiter, da es relevante neuroergonomische Prinzipien umsetzt, Führung neu definiert und eine Kultur der Konzentration etabliert. Dieses Modell setzen wir gerade ebenfalls sehr gezielt in der Krise ein, um die Produktivität zu erhalten und nach der Krise einen deutlichen Produktivitätsschub zu erreichen.

5. Wertschätzen Sie das Engagement ihrer Mitarbeiter, die trotz der Umstände darum kämpfen, produktiv zu sein. Wahrlich nicht jeder empfindet es als Geschenk, zu Hause arbeiten zu dürfen.

6. Betreiben Sie als Führungskraft aktive Selbstsorge, stärken Sie Ihr konzentriertes Arbeiten, um Ihre eigene Leistungsfähigkeit und Ihre Produktivität zu erhalten. Auch hier bietet das TFC-Modell konkrete Unterstützung.

Bleiben Sie gesund, konzentriert und produktiv!

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Über die Autorin: Vera Starker ist Wirtschaftspsychologin, Senior Coach im DBVC, MBA in systemischer Organisationsentwicklung, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht und Co-Founderin des Berliner Start ups Next Work Innovation. Buchveröffentlichungen: „Hypnosystemische Perspektiven im Change Management“, Springer Gabler Verlag, 2017; „Most Wanted: Chef der Zukunft“, Rossberg Verlag, 2019; „Endlich wieder konzentriert arbeiten! The Focused Company New Work Book für Unternehmen“, Rossberg Verlag, Mai 2020

Warum wir lieber "C-Office" anstatt Homeoffice sagen sollten (2024)
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Author: Velia Krajcik

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